Ein Mann, der über Städte nachdenkt

Vittorio Magnago Lampugnani hat nicht nur bedeutende Standardwerke ¨¹ber St?dtebau verfasst und eine Generation von Architektinnen und Architekten an der ETH gepr?gt, sondern auch selber zahlreiche Projekte realisiert. Nun wird der charismatische Professor f¨¹r Geschichte des St?dtebaus emeritiert.

Lampugnani
Der scheidende Architektur-Professor Vittorio Magnago Lampugnani (Bild: Anne Morgenstern)

Sein Lieblingsbuch ist der ?Mann ohne Eigenschaften? von Robert Musil. Doch im Gegensatz zur Titelfigur, die sich nie festlegen m?chte, bezieht Vittorio Magnago Lampugnani gerne Position. Seit fast 40 Jahren besch?ftigt sich der ETH-Architekt mit St?dtebau, ?ussert sich zu aktuellen Themen, beurteilt die Qualit?t von Pl?tzen und Quartieren und macht eigene Vorschl?ge. Er ist sich bewusst, dass er damit in einen wichtigen ?ffentlichen Diskurs eingreift. Sein Credo: ?Massstab im St?dtebau sollte immer der Mensch sein. Gute Architektur bietet die gr?sstm?gliche Lebensqualit?t.?

Doch Lampugnani ist kein Draufg?nger oder Provokateur - ganz im Gegenteil. Wohlbedacht ist jedes seiner Worte, er l?sst sich Zeit, denkt nach und bezeichnet sich selbst als langsam. Auf die Frage allerdings, welche Bedeutung die ETH f¨¹r ihn hat, antwortet er schnell: ?Die ETH ist ein St¨¹ck meines Lebens. Ich k?nnte mir keine bessere Institution f¨¹r meine Arbeit vorstellen, weil ich hier die Gelegenheit hatte, Lehre und Forschung in idealer Weise miteinander zu verbinden.? Womit der Architekturprofessor schon bei einem seiner Lieblingsthemen gelandet ist: seinen Studierenden.

Ein Lehrer, der lernt

?In einer grossen Gruppe von Studierenden gibt es immer ein paar, die nicht nur lernen, sondern mit denen es zu einem intensiven Austausch kommt. Manchmal weiss man gar nicht, wer der Lehrer und wer der Sch¨¹ler ist.? Der Architekt m?chte, dass seine Studierenden offen und unvoreingenommen an das System Stadt herangehen. F¨¹r den Lehrer Lampugnani ist klar, dass es dazu zuerst eine solide theoretische Basis braucht. Dar¨¹ber hinaus ermutigt er seine Studierenden, sich gute historische Beispiele zeichnend anzueignen. ?Beim Zeichnen muss man nicht nur genau hinschauen, sondern  auch ausw?hlen  ¨C wenn dieser Akt bewusst geschieht, versteht man pl?tzlich das Wesen eines Entwurfs. Der Stift hat dabei eine gewisse Autonomie, er ist der Zugang zur eigenen Intuition?, ist Lampugnani ¨¹berzeugt.

Lampugnani
?Sch?nheit ist nicht einfach eine Frage des Geschmacks.?Prof. Vittorio Magnago Lampugnani

Ein Historiker, der vordenkt

Auf die Frage, was ihm r¨¹ckblickend besonders in Erinnerung bleibe, antwortet Lampugnani: ?Die gl¨¹cklichsten Momente sind die, bei denen man in der Forschung etwas Neues entdeckt. Zum Beispiel, dass die Geschichte der Stadt eine Geschichte von Entw¨¹rfen ist. Es gibt nichts an der Stadt, das nicht geplant ist.? Hinter dem Entwurf stecke immer eine bestimmte Absicht. Wer die Aufgabe ernst n?hme, eine angenehme Lebensumgebung f¨¹r Menschen zu gestalten, schaffe automatisch Sch?nes, so Lampugnani.

Mit dieser Aussage wird die architektonische Gretchenfrage provoziert: Was ist denn sch?n? Nat¨¹rlich gebe es nicht die Sch?nheit, so der Professor, aber: ?Sch?nheit ist nicht einfach eine Frage des Geschmacks.? Der Mensch solle sich dort wohlf¨¹hlen, wo er sich bewege, sei es auf dem Gehsteig oder im ?bergang zwischen privatem und ?ffentlichem Raum. Der ?ffentliche Raum sei zudem umso wichtiger geworden, weil er zunehmend als Kompensation zum verdichteten Wohnraum dienen m¨¹sse. Lampugnani hatte bereits vor zehn Jahren ein Buch zur Verdichtung in St?dten geschrieben. Wollte anhand von historischen Beispielen den Begriff der st?dtischen Dichte differenzieren. ?Ein paar Jahre zu fr¨¹h, damals hat das Thema niemanden interessiert.? Das Schicksal eines Vordenkers.  

Ein Theoretiker, der baut

Der ETH-Professor ist ein bescheidener Mann. Er spricht lieber ¨¹ber die grossen Zusammenh?nge als ¨¹ber die eigenen Erfolge. Dabei g?be es vieles zu sagen. Seine ?Anthologie des St?dtebaus? beispielsweise bietet auf fast 1500 Seiten einen umfassenden ?berblick ¨¹ber die grundlegenden Texte zur Theorie des St?dtebaus vom fr¨¹hen 18. Jahrhundert bis heute. Sein Opus magnum ?Die Stadt im 20. Jahrhundert? beleuchtet die architektonischen, sozialen und politischen Komponenten der modernen Stadt ¨C es gilt als unverzichtbares Standardwerk. Und dies sind nur zwei von knapp 30 B¨¹chern, die Lampugnani im Laufe seiner Karriere publiziert hat.

Doch der Architekt ist nicht nur Theoretiker, er baut auch, stellt unter Beweis, dass Erkenntnisse aus seiner Forschung real umgesetzt werden k?nnen. Er war f¨¹r die Gesamtplanung des Novartis Ó¢»ÊÓéÀÖ in Basel verantwortlich und hat eine neue U-Bahn-Station in Neapel gebaut. Ein Gesch?ftshaus am Schiffbauplatz in Z¨¹rich wird im Sommer fertiggestellt. Fragt man ihn nach seinem wichtigsten Projekt, nennt er ¨C nat¨¹rlich nicht ohne zu z?gern ¨C das Richti-Quartier in Wallisellen, bei dem es nicht darum ging, einzelne H?user zu entwerfen und zusammenzuw¨¹rfeln, sondern darum, eine ganze Parzelle zu gestalten. ?Entweder sie lieben es oder sie hassen es, was ja kein schlechtes Zeichen sein muss?, meint der ETH-Professor schmunzelnd. Das Projekt in Wallisellen hat bei Lampugnani einen Traum geweckt: einmal ein ganzes st?dtisches Quartier zu bauen. Wer ihn ¨¹ber St?dtebau sprechen h?rt, w¨¹nscht sich, dass sein Traum in Erf¨¹llung geht.    

F?llt ihm der Abschied von der ETH schwer? ?Nat¨¹rlich schmerzt die Emeritierung, und ich weiss schon jetzt, dass ich meine Studierenden ¨C dieses Geben und Nehmen ¨C vermissen werde?, meint Lampugnani und erw?hnt damit einmal mehr die Menschen, denen er nicht nur etwas beibringen wollte. ?Aber es ist auch gut, wenn junge K?pfe kommen und neue Ideen einbringen?, so der scheidende Professor. Eines ist klar: Wenn Vittorio Magnago Lampugnani sein B¨¹ro an der ETH f¨¹r immer schliesst, verliert die Hochschule einen Mann mit vielen Eigenschaften.  

Abschiedsvorlesung

In seiner Abschiedsvorlesung wird Vittorio Magnago Lampugnani dar¨¹ber sprechen, was man aus der Auseinandersetzung mit der Stadt zu lernen vermag, wie man dabei vorgehen muss und wie man das, was man gelernt hat, anwenden kann. Und er l?dt seine Zuh?rerinnen und Zuh?rer zu einem Spaziergang durch die Geschichte des st?dtischen Platzes ein: von der Piazza della Repubblica in Florenz zur Place des Vosges in Paris, zur¨¹ck zum antiken r?mischen Forum und dann vorw?rts in die unmittelbare Gegenwart zum Richtiplatz in Wallisellen.

Abschiedsvorlesung von Professor Vittorio Magnago Lampugnani:
?Das Wissen von der Stadt. Auslegeordnung f¨¹r eine anwendungsbezogene Grundlagenforschung?
1. Juni, 2017 um 17.15 Uhr im Auditorium Maximum, Hauptgeb?ude der ETH Z¨¹rich.

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